von Felicija Faustyna
Ein Großteil unseres Lebens hängt vom guten Funktionieren unseres visuellen Systems ab. Nahezu
75 Prozent aller Eindrücke aus der Umwelt nehmen wir durch dieses wahr. Die heutige visuelle
Informations-Überflutung macht nicht nur den Augen und den Bearbeitungsarealen im Gehirn zu
schaffen, sondern es werden auch unser Gemüt und Gedächtnis überlastet. Beim langen Arbeiten vor dem Monitor, Verspannungen im Kopf- und Nackenbereich und mangelnder Bewegung reagiert das
visuelle System u.a. mit erhöhter Empfindlichkeit gegen Licht, mit trockenen Augen, aber auch mit sich verschlechternder Sehschärfe und Sehstörungen.
Eine yogische Übungstechnik, die hier helfen kann, ist Traatakam, eine visuelle Meditationtechnik, die zu den sechs Reinigungs-Übungen des Hatha-Yoga gehört. Traatakam bedeutet schauen, auf etwas
hinschauen, beständig etwas betrachten, mit dem Blick fixieren/starren. Es wird als eine der kraftvollsten Übungen in den alten yogischen Schriften beschrieben. Traatakam ist eine
vorzügliche
Konzentrations- und Reinigungsübung: physisch, geistig, mental und emotional. Abends ausgeführt
unterstützt es einen erholsamen Schlaf mit positiver Auswirkung auf die Zirbeldrüse und somit auf
die Melatonin-Produktion. Traatakam wirkt wie eine Pforte zum Selbst.
Die bekannteste Traatakam-Übung wird mit einer Kerzenflamme durchgeführt. Du kannst auch auf
eine Götterfigur oder auf das Gesicht (d)eines spirituellen Meisters meditieren. Hier ist die Absicht, die Verbindung mit ihm aufzubauen und seine Qualitäten im eigenen Leben anzunehmen. Du
kannst ein inneres Traatakam auf deine Nasenspitze oder das Dritte Auge praktizieren. Das wird oft bei Meditationen und Konzentrationsübungen angewendet. Das Starren auf das Dritte Auge reinigt
und stärkt die Bogenlinie (einer von den 10 Körpern nach Yogi Bhajan. Sie ist ein leuchtender Lichtbogen, der über dem 3. Auge von einem zum anderen Ohrläppchen verläuft, wie ein Heiligenschein.
Sie spiegelt innere Werte und Glaubenssätze wider), das Starren auf die Nasenspitze beeinflusst das zentrale Nervensystem und die Hypophyse.
Das Gute-Sicht-Mandala und die Trāṭakam-Scheibe sind zwei Meditations-Karten, die nach Vorlagen uralter yogischer Yantras (ein geometrisches, auf einen zentralen Mittelpunkt ausgerichtetes
Diagramm) neu gestaltet worden sind.
In der Mitte des Gute-Sicht-Mandalas ist ein einfacher Punkt zu sehen. Ein Bindu, „ein Punkt, aus dem alles kommt“. Durch das Fokussieren des Blicks (Drishti***) auf das Bindu werden die Sinne
und der Geist gebündelt. So wird der Geist selbst ruhiger. Das entspannte Schauen durch den Punkt
hindurch beeinflusst positiv die Zirbeldrüse. Das alles schenkt außer verbessertem Seh- und Denkvermögen einen verbesserten Zugang zum Unterbewussten und zur Intuition.
Manchmal, während des Traataka mit dem Gute-Sicht-Mandala bekomme ich das Gefühl, mich in anderen Räumen zu bewegen, in andere Dimensionen zu gelangen...
In den alten yogischen Schriften steht geschrieben: Yantra plus Mantra wird zum Tantra. In der Praxis bedeutet es, dass eine starke Konzentration auf ein bestimmtes Yantra mit Chanten des
dazugehörigen Mantras zur Befreiung/Erleuchtung führen kann. Das Gute-Sicht-Mandala gehört zu einer tantrischen Technik mit dem Atem-Mantra Sō Hong (So-Ham).
„Alles kommt aus dem Klang, auch der Atem ist Klang. Und der Klang ist "Soo Hong ". Einatmen ist „Soo“ und Ausatmen ist “Hong“.
Yogi Bhajan
Sinngemäß bedeutet Sō Hong: Ich bin, der ich bin = Ich bin weder Körper noch Geist. Ich bin das
unsterbliche Selbst.
Wenn ich länger auf das Gute-Sicht-Mandala schaue, habe ich den Eindruck, dass der gepunktete
Kreis sich um den Mittelpunkt zu drehen beginnt. Hier haben wir es mit einer optischen Täuschung
zu tun, die einen positiven Einfluss auf die saccadische Bewegung (* Saccaden sind eine von drei Komponenten der Augenbewegung, sehr schnelle Blicksprünge - das Auge führt im gesunden Zustand ca.
50 kleine Sprünge pro Sekunde aus) der Augen hat. Die Augen springen
sehr, sehr schnell zwischen den Punkten und das Gehirn erzeugt dann aus den vielen kleinen
Einzelbildern ein Gesamtbild. Die saccadische Bewegung der Augen ist für die Stabilität bezüglich
der Wahrnehmung des Körpers in der Umwelt wesentlich. Das Gehirn nimmt einen ständigen
Abgleich der Sinne vor, indem es visuelle Reize mit dem Gleichgewichtssinn, der relativen Stellung
vom Kopf zum Körper oder der Rückmeldung von ausgeführten Bewegungen in Einklang bringt. Das Gute-Sicht-Mandala regt die Saccaden-Schwingung nachhaltig an und unterstützt somit u.a. den
Gleichgewichtssinn. Menschen, die Augentraining praktizieren, berichten, dass sich auch ihr
Hörvermögen verbessert hat.
Je langsamer die saccadische Bewegung der Augen ist, desto schlechter kann die betroffene Person
sehen. Interessanterweise sehen Menschen mit starken Sehbeschränkungen diese optische
Bewegung bei dem Gute-Sicht-Mandala nicht. Stattdessen bekommen sie bei der Betrachtung des
Mandalas Schwindel oder Kopfschmerzen. Das rührt daher, dass bei ihnen die Fixierung der
Augenmuskeln bereits fortgeschritten ist und dadurch die saccadische Augenvibration stark
gemindert wird.
„Eine wunderbare Erfahrung, die ich mit dem Gute-Sicht-Mandala gemacht habe und immer wieder
mache: Schon nach 1 - 2 Minuten ergibt sich in der Mitte eine Tiefe, in die man gern hineinschaut;
die Augen kommen zur Ruhe, entspannen sich. Ein anderes Mal beginnt das Bild um den Mittelpunkt herum zu kreisen, die Augen haften an den Mustern und man bekommt das Gefühl, dass die
Augenmuskulatur gestärkt wird.“
Adelheid Haller-Niemann, Yogalehrerin
Felicja Faustyna
aktive Yoga-Lehrerin seit 1998
Yoga-Coach, Buchautorin und Verlegerin
ff-yoga.de
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