Die Übung der Liebenden Güte besteht darin, dass wir uns selbst und anderen Wesen vier wohlwollende Wünsche widmen. Sie wird auch MettaMeditation (vom
Sanskrit-Wort Maitri = Freundlichkeit) genannt und ist eine der zentralen Meditationstechniken im Buddhismus.
Als ich diese Übung kennengelernt habe, konnte ich mich zuerst nicht mit ihr anfreunden, da
ich sie als Variante des positiven Denkens betrachtete. Da Meditation für mich darin besteht,
immer besser mit dem sein zu können, was ist, befürchtete ich, in die falsche Richtung zu gehen – es schien mir wie das Aufsetzen einer rosaroten Brille. Bei genauerer Betrachtung stellte sich
die Übung der Liebenden Güte aber als viel mehr als eine positive Bestärkung heraus, denn sie hat die Kraft, unser Herz zu öffnen und unser Mitgefühl zu befreien.
1. Die Erinnerung an die uns innewohnende Güte
Grundsätzlich besitzt jeder Mensch ursprüngliche Güte und Liebe. Die Grenzen und Schmerzen des Lebens haben aber bei vielen von uns dazu geführt, dass wir unser Herz mit einer Mauer umgeben
haben. Dies schützt uns zwar bis zu einem gewissen Grad vor Schmerz, sperrt aber auch die Güte und Freundlichkeit in unsererem Inneren ein. Die Metta-Meditation erinnert uns an unsere „Basic
Goodness“, wie Pema Chödrön, eine buddhistische Nonne und Schriftstellerin, die
uns innewohnende Güte nennt.
2. Freundlichkeit gegenüber allem, was ist
Die Metta Meditation erinnert uns aber nicht nur an die uns innewohnende Güte, sie hilft uns auch, dem Leben selbst - mit all seinen Facetten - freundlich zu begegnen, statt unser Herz vor dem
Unangenehmen zu verschließen und am Angenehmen festzuhalten. Damit verhindern wir die Entstehung von Leid.
3. Die Entdeckung des Mitgefühls
Die Freundlichkeit gegenüber allem, was ist, führt ganz von selbst zur dritten großen Wirkung der Metta-Meditation: der (Wieder)Entdeckung unseres Mitgefühls, denn sobald wir unser Herz für
unseren eigenen Schmerz öffnen, können wir auch die Schmerzen anderer leidender Wesen empfinden. Ein weiterer Aspekt des Mitgefühls ist die „Mitfreude“ – die Fähigkeit, die Freude anderer Wesen
aus ganzem Herzen zu teilen. Zusammen mit Freundlichkeit und Gleichmut werden diese Eigenschaften im Buddhismus die „Vier Himmlischen Verweilzustände“ genannt.
Ein wenig rosarote Brille ist in der Metta-Meditation natürlich auch enthalten, aber dies ist angesichts der „Negativen Verzerrung“ – der Eigenschaft unseres Gehirns, negative Erfahrungen
stärker zu speichern als positive – abolut legitim und sinnvoll. Eine positive Lebenseinstellung erleichtert uns zudem, allen Aspekten des Lebens mit Offenheit zu begegnen.
Du kannst die Metta-Meditation in deiner bevorzugten sitzenden Meditationshaltung oder im Liegen praktizieren. Wenn du möchtest, lege beide Hände auf dein Herzzentrum, also auf das Brustbein in Höhe des Herzens und spüre ganz bewusst die Wärme dieser Berührung. Dann sprich innerlich und aus ganzem Herzen die folgenden vier Wünsche:
„Möge ich glücklich sein.“
„Möge ich sicher sein.“
„Möge ich gesund sein.“
„Möge ich unbeschwert leben.“
Um die Übung abzuschließen, falte die Hände vor dem Herzen und verneige dich für einen Moment. Mache dir keine Gedanken, falls die Sätze zu Beginn mehr aus deinem Kopf kommen als
aus deinem Herzen. Das „Tun-Als-Ob“ ist eine wunderbare Möglichkeit, ersten Kontakt mit der liebenden Güte aufzunehmen. Als ich mit dieser Übung begonnen habe, fiel es mir sehr schwer, Wärme mir
selbst gegenüber zu empfinden. Die Sätze fühlten sich mechanisch und leer an. Nach einiger Zeit der Übung wurde es leichter und bald konnte ich eine erstaunliche erste Wirkung beobachten: Als ich
durch Unachtsamkeit eine geliebte Tasse zerbrach, löste dies in mir statt Selbstvorwürfen und dem gewohnten „Du-bist-eben-zu-blödum-aufzupassen-Gefühl“ nur eine leichte Trauer und Mitgefühl mit
mir selbst aus. Diese Freundlichkeit mir selbst gegenüber wächst
seitdem von Tag zu Tag und bewirkt, dass ich auch anderen Menschen immer offener und
mitfühlender begegne.
Falls die vier Wünsche sich für dich unnatürlich anfühlen, Ablehnung oder andere unangenehme Empfindungen hervorrufen, dann spürst du in ihnen die Mauer, die dein Herz umgibt. Erlaube diesen
Gefühlen einfach zu sein; betrachte auch sie mit freundlichem Interesse und wende dich dann wieder deinen Sätzen zu. Gerade diese Empfindungen haben großes Potential, unser Herz zu
öffnen, wenn es uns gelingt, sie willkommen zu heißen. Wenn du keinen Widerstand (mehr) hast, dir diese Wünsche zu widmen, dann gehe über zum zweiten Schritt der Metta-Meditation
und
wiederhole die vier Sätze für einen Menschen (oder ein anderes Wesen), der oder das dir nahesteht - dein Kind vielleicht oder dein Partner; vielleicht gibt es auch jemanden in deinem
Leben, dem du besonders dankbar bist, zum Beispiel eine/n verehrte/n Lehrer/in. Versuche,
die Präsenz dieses Wesens zu spüren. Wenn du möchtest, visualisiere einen warmen Lichtstrom, der zwischen euren Herzen fließt. Dann sprich die vier Herzenswünsche, jeweils mit der Formulierung:
„Mögest du …“.
Wenn es dir sehr schwerfallen sollte, dir selbst liebende Güte zu widmen, kannst du die Reihenfolge der Metta-Meditation auch ändern und mit Schritt zwei beginnen. Wenn du durch die Liebe für ein
anderes Wesen in Kontakt mit der Schwingung der Güte gekommen bist, wird es dir leichter fallen, sie auch dir selbst zu schenken.
Im dritten Schritt richte die Metta Meditation an jemanden, den du nicht magst oder mit dem du Schwierigkeiten hast. Beginne mit „unkomplizierten“ Fällen, zum Beispiel mit
jemandem, der dir ein wenig unsympathisch ist. Erinnere dich daran, dass auch dieser Mensch glücklich und frei von Leid sein möchte, nimm Verbindung zu seinem / ihrem Herzen auf und sprich dann
die vier Wünsche. Dieser Schritt der Metta-Meditation hilft uns nicht nur, unser Herz noch ein wenig weiter zu öffnen, er hat auch den Nebeneffekt, dass negative Emotionen sich nicht mehr so
leicht
aufschaukeln. So kann sich das Verhältnis zu der jeweiligen Person ganz von selbst verändern.
Zugleich tut es natürlich auch uns selbst gut, nicht von Hass oder Ärger verzehrt zu werden.
„An Ärger festzuhalten, ist, wie ein Stück glühender Kohle festzuhalten, mit der Absicht, sie
nach jemandem zu werfen. Derjenige, der sich dabei verbrennt, bist du selbst.“ Buddha
Unseren Mitmenschen wohlwollend gegenüberzustehen, bedeutet übrigens nicht, dass
wir uns oder andere nicht vor Verletzungen schützen. Doch unser Handeln ist keine ReAktion, kein unwillkürliches „Um-Sich-Schlagen“, sondern eine bewusste Aktion, die heilsam für alle Beteiligten
ist. Wenn wir lernen, liebevoller mit uns selbst umzugehen, fällt es uns außerdem immer leichter, unsere eigenen Grenzen zu spüren und zu respektieren.
Im vierten und letzten Schritt der Metta-Meditation richte die 4 Wünsche an alle fühlenden Wesen, an den lebenden, atmenden Planeten in der Formulierung „Mögen alle fühlenden
Wesen…“ oder einfach „Mögen wir…“.
Die oben angeführten Formulierungen entsprechen vier Grundbedürfnissen fühlender Wesen: Glück, Gesundheit, Sicherheit und Unbeschwertheit. Wenn du möchtest, kannst du aber auch eigene Formulierungen wählen, die vielleicht noch besser ausdrücken, was du im Moment gerade brauchst. Wichtiger als die Formulierung ist, dass die Wünsche dein Herz berühren. Hier sind einige Beispiele für weitere Formulierungen:
„Möge ich so glücklich und heil sein, wie es mir irgend möglich ist.“
„Möge ich die Leichtigkeit des Seins erfahren.“
„Möge ich mich friedlich und gelassen fühlen.“
„Möge ich meinem Schmerz mit Mitgefühl begegnen.“
„Möge ich mich in den Augenblick entspannen.“
„Möge ich mir Fehler erlauben.“
„Möge ich lieben und geliebt werden.“
Manche Lehrer empfehlen, die einmal gewählte Formulierung beizubehalten, da sie dadurch an Kraft gewinnt. Es macht aber auch Sinn, hineinzuspüren, was wir oder andere im jeweiligen Augenblick gerade brauchen und die Sätze dahingehend anzupassen. Dies hält die Praxis lebendig und intuitiv. Ich würde mich freuen, wenn du dieser wunderbaren Übung die Chance gibst, zu einer festen Gewohnheit zu werden!
Möge die Metta Meditation dir ein Tor zu deinem Herzen öffnen!
Danke fürs Teilen!