Yoga in der Familie

Ich stelle mir gerade eine wunderschöne Familie vor. Die Eltern tragen weiße, leichte Leinenhosen, die Haare der hübschen Mutter fallen in natürlichen Wellen sanft über die Schultern. Ihr liebevoller Blick gilt den Kindern und dem Mann. Der Vater ist eine Mischung aus sanftem Erfolg, einer ordentlichen Portion Muskeln und viel Geduld in seiner Mimik. Die Kinder sind natürlich auch weiß gekleidet. Beide, Mädchen und Bub wirken ausgeglichen, anschmiegsam und gleichzeitig selbstbewusst. In ihren Gesichtern keine Spur von Angst, Zorn oder Unsicherheit. Vor der Familie liegen vier sorgfältig ausgebreitete Yogamatten, im sauberen und hellen Wohnzimmer. Jeden Abend praktiziert die Familie gemeinsam eine stärkende und zugleich entspannende Yogaeinheit. Ich könnte dieses Bild nun weiterspinnen, davon erzählen, dass diese vier Menschen nie krank sind, sich gesund und vegetarisch ernähren, die perfekte Balance zwischen Ruhe und Aktivität finden. Dass sie ihre Konflikte gewaltfrei lösen und sich auch nicht mit Worten weh tun. Gier, Neid, Aggression und andere allzu menschliche Eigenschaften sind ihnen fremd.

 

Ich praktiziere seit mittlerweile zwanzig Jahren mehr oder weniger regelmäßig Yoga, habe Ausbildungen in diesem und anderen ganzheitlichen Bereichen absolviert. In der Theorie weiß ich also sehr gut Bescheid über Gesundheit, Balance, Dehnung und Kräftigung, den Umgang mit den vielen Emotionen und über Werte eines gewaltfreien Lebens. Yoga eben. Mein Bemühen um eine ganzheitliche Yogapraxis und dieses umfassende Wissen standen immer im Mittelpunkt meiner Lebensgestaltung. 

Genau dieses Bemühen, Yoga wahrhaftig zu leben, stand und steht noch heute, wo ich Ehefrau und Mutter von drei Kindern bin, vor mir und fragt mich: "Wie kannst du Yoga tatsächlich leben?" Es grinst mich an und stellt mir die wohl größte Frage: "Wie kannst du ohne Matte, wenn sie eingerollt in der Ecke steht, trotzdem weiter Yoga machen?" "Wer oder was steht dir für diese Ausrichtung im Weg? Bloß dein ureigenes Mensch sein? Was bedeutet es, Yoga als Lebensprinzip über eine Familie wie einen schützenden Mantel auszulegen?" "Wie kann Yoga der Teppich, eine tragende Unterlage sein, auf der du deinen Alltag mit deiner Familie gestaltest? Ein yogisches Leben mit deiner Familie, mit der du verwoben bist wie in einem Spinnennetz! Wie kannst du die Führung und Anleitung deiner Söhne, die Konflikte und Freuden deiner Beziehung, deine innere Haltung, die Arbeit, das Essen und die Gesundheit dem Yoga weihen?" Zu viel verlangt? 

Schauplatzwechsel. Ein Wohnzimmer, ein wenig unaufgeräumt, Hundehaare am Boden, Spielsachen lose verstreut, obwohl gerade erst Ordnung gemacht worden ist. Dazwischen eine Yogamatte. Die Mutter darf ungestört ein paar Yogaübungen ausüben. Nichts großes, ein wenig dehnen, ein bisschen Umkehr, aushängen lassen. Der mittlere Sohn nähert sich der Matte: "Mama, wann darf ich endlich mal mitmachen?" Die Mutter wundert sich, der Sohn darf doch immer mitmachen. Ist die Matte so etwas, das wir in Kinderzeiten als "Leo", "Freizone" erschaffen hatten, um nicht gefangen zu werden? Die Matte wird eingerollt. Yoga ist weg und geht doch weiter. Oder es geht dann erst richtig los. 

 

Einer meiner Lehrer hat einmal zu mir gesagt: "Yoga auf der Matte zu machen ist zwar anstrengend, aber einfach. Die eigentliche Qualität des Yoga zeigt sich erst dann, wenn die Matte eingerollt wird." Der wohl beste Übungsplatz für dieses "Yoga der eingerollten Matte" ist die Familie. Nirgendwo sonst sind wir authentischer als in der Familie. Nirgendwo sonst werden wir täglich vor tausende Herausforderungen gestellt. Nirgendwo sonst erleben wir die Fülle und Eigenständigkeit von Menschen so hautnah. Ein paar Aspekte des Yoga abseits der Matte möchte ich noch herausfiltern.

Ich stelle mir eine Familie stets als großes Netz vor, in das wir alle eingewoben sind. Es gibt unzählige Verbindungslinien unter den Familienmitgliedern. Regt sich ein Teil, wie auch immer, warum auch immer, müssen sich alle anderen mitbewegen. Dieses Netz ist ein bewegliches, sich ständig wandelndes System. Schwingen wir mit diesen Bewegungen nicht mit, kommt es schnell zur Überdehnung oder Überreizungen im bildlichen und wörtlichen Sinne, und zu einem unangenehmen Gefühl, eingespannt zu sein. Flexibilität scheint nun eines der funktionalen Grundbedürfnisse der Familie zu sein. Stellen wir nun ein weiteres yogisches Prinzip, nämlich die Stärke und Kraft dieser Flexibilität gegenüber können wir uns diesen schwingenden Organismus als flexiblen und gleichzeitig starken Moment in einem alles schwingenden Universum vorstellen. 

 

Aus Erfahrung weiß ich, dass tatsächlich diese innere und auch körperliche Flexibilität nötig ist, um in Schwung zu bleiben. Hier geht es um vermeidlich banale Dinge. Ein Kind ist krank, Termine, vielleicht müssen freudige Verabredungen verschoben werden, Pflegeurlaub muss genommen werden. Wir bleiben in der Flexibilität und inneren Ruhe, Enttäuschungen und Veränderungen zu erdulden. Ein anderes Kind will nicht so, wie wir Eltern es wollen. Es will trotz Spinnennetz seinen eigenen Weg gehen, gleichzeitig aber eingebunden bleiben in der familiären Kraft und Liebe. Wir bleiben in der inneren Kraft und Beweglichkeit und schwingen mit. Die Beziehung der Eltern wandelt sich im Laufe der Jahre. Immer mehr Lebewesen sind in den familiären Halt eingebunden. Hunde, Kinder, Meerschweinchen. Wir entwickeln gemeinsame Stärken, wenn um uns und in uns das Leben tobt.

Die Autorin: Mag. Mirijam Bräuer



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