Die Wissenschaft des Hatha Yoga hat die Wechselwirkungen zwischen Atem und dem körperlichen, geistigen und seelischen Befinden des Menschen über lange Zeit untersucht und hat Techniken entwickelt, die diese Wechselbeziehung direkt nutzen - die Pranayamas.
Der Begriff Pranayama wird oft als Atemübung übersetzt. Treffender wäre es, von Pranayama als einer Energieübung zu sprechen - eine Energieübung, die sich der Atmung als Werkzeug bedient. Während die Atemübung sich auf das Trainieren der Atembewegung und das Stärken des Atemsystems konzentriert (und damit eine notwendige Grundlage für Pranayama bildet), ist das Ziel des Pranayama die Veränderung unserer pranischen (energetischen) Struktur. Das Ziel der Pranayama-Übungen ist es, unseren Astralkörper (die Energiebahnen und Energiezentren) zu reinigen und die Energie zu balancieren.
Um diese Zusammenhänge in ihrer voller Bedeutung zu verstehen, wollen wir uns mit einer grundlegenden Frage auseinandersetzen:
Prana mag als Luft oder Sauerstoff oder Energie bezeichnet und betrachtet werden, aber es ist mehr als das; es ist die „Idee“, die Substanz, die hinter dem physisch manifestierten Prinzip des Gases „Luft“, der Energie und hinter allem Leben wirkt. Es ist ähnlich wie mit dem Wind. Du kannst den Wind nicht sehen, aber du kannst seine Wirkung an der Bewegung der Wolken und der Bäume erkennen. Ebenso erkennst und spürst du Prana in den zahllosen Manifestationen des Lebens.
Prana ist die Lebensessenz, die alle Bewegung, alles Leben, jeden Gedanken bewirkt und ermöglicht. Prana manifestiert sich als Geist, als Klang, als Energie, doch Prana selbst ist subtiler als
diese. Prana durchzieht wie Äther unser gesamtes Dasein und formt unser Leben.
Die Menge und Bewegung des Prana in uns und um uns bestimmt unser Leben. Unser Denken, unser Fühlen, die Weise, wie wir uns selbst und die Welt um uns wahrnehmen, ist eine Wirkung des Prana.
Prana ist die Ursache, unser Denken und Fühlen ist die Wirkung. Yoga sagt, dass wir unser Prana verändern können. Und wenn wir unser Prana verändern können, so können wir auch unsere Welt
verändern!
Oft fühlen wir uns als Opfer, das zumeist in die Defensive gedrängt wird, und öfter reagiert als agiert. Man fühlt sich als Spielball der Gewalten, ohne sich bewusst zu werden, dass für diese Situation nicht nur die uns lenkenden und manipulierenden äußeren Kräfte verantwortlich sind, sondern auch unser Unvermögen (oder mangelnde innere Kraft), in angemessener Weise auf die äußeren Faktoren zu reagieren.
Und nicht nur äußerer Art sind die uns manipulierenden Kräfte, meist reagieren wir automatisiert und werden zum Opfer unserer Süchte und Gelüste, fühlen uns beleidigt, werden wegen Kleinigkeiten
wütend - und auf all diese Regungen scheinen wir keinen Einfluss zu haben. Es ist, als hätten unsere Gedanken und Gefühle ein Eigenleben, das sich unserer Kontrolle entzieht. Die Triebe und
Gelüste, die Ängste, Aggressionen und Vorurteile scheinen stärker zu sein als wir. Wäre es nicht wünschenswert, dass WIR stärker werden als diese Elemente?
In diesem Sinne, nämlich die innere Kraft zu wecken, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen und damit auch die Verantwortung für das eigene Wohlergehen und die persönliche Entwicklung zu
übernehmen, hilft das Stärken, Kontrollieren und Ausrichten der Prana-Bewegung durch Pranayama.
Die Kontrolle über diese geheimnisvolle, alles durchdringende Essenz PRANA vermag unser gesamtes Leben zum Positiven zu verändern:
Es ist eine Frage der Energie und des kontrollierten und bewussten Einsetzens der Energie. Das Mittel, das Instrument, um dies zu bewerkstelligen, ist Pranayama.
Die Bewegung des Geistes ist das Abbild der Bewegung des Prana. Der Geist ist eine Manifestation des Prana. Gelingt es dir, Prana zu verändern, so hast du deinen Geist und damit dein gesamtes
Leben in der Hand. Pra-nayamas sind hochwirksamen Übungen zur Veränderung und Reinigung unserer gesamten Prana-Struktur. Pranayama bewirkt einerseits eine Vermehrung des Prana, was zu einer
Stärkung von Geist und Körper führt, andererseits verbessert Pranayama den freien Fluss der Energie und hilft, Blockaden zu beseitigen. Beide Aspekte haben deutlich spürbare positive Auswirkungen
auf unser gesamtes Befinden. Schließlich wirkt Pranayama auf die Balancierung und Harmonisierung subtilerer Aspekte unseres Geistes. So entsteht als Ergebnis ausdauernder Pranayama-Übung ein sich
ständig vertiefender innerer Frieden, ein Gefühl des Ganzseins, des In-Seiner-Mitte-Ruhens.
Wenden wir uns nach diesen philosophischen Erörterungen nun den praktischen Aspekten der Atmung und des Pranayama zu:
Anfänger üben noch ohne Luftanhalten, doch bei fortgeschrittenem Üben wird die Phase des Luftanhaltens zum zentralen Element des Pranayama. Kumbhaka, das Anhalten der Luft in den Yoga-Pranayamas,
hat auf allen Ebenen des Menschen große Bedeutung:
Physische Ebene
Während der Anhaltephase steigt durch die fortgesetzte Zellatmung der Kohlendioxidgehalt im Blut, was eine vermehrte Bindung von Sauerstoff an die roten Blutkörperchen bewirkt. Das Blut wird also
während der Übung mehr mit Sauerstoff angereichert als sonst. Während des Luftanhaltens läuft der gesamte Gasaustausch im Körper - sowohl in den Lungen als auch im Zellgewebe selbst - effizienter
ab. Nach einiger Übung kann der/die Praktizierende das daraus resultierende Gefühl vermehrter Frische und Energie im Körper deutlich wahrnehmen. Durch diese Verbesserung des Stoffwechsels wird
auch die Entschlackung des Körpers gefördert, die Zellregenerierung verbessert und Abfallstoffe werden effektiver ausgeschieden.
Energetische Ebene
In der Zeit, in der der Atem still steht, wird, analog zur physischen Ebene, die Assimilation des Prana aus dem Sauerstoff verbessert, was zu einer Vitalisierung des Prana-Körpers führt. Bei
konzentriertem Pranayama ent-steht eine Sensibilisierung, die uns das Lebendigsein jeder einzelnen Zelle erfahren lässt. Ähnlich wie Asanas auf der körperlichen und Meditation auf der geistigen
Ebene eine Ruhigstellung bewirken, so wird auf der energetischen Ebene bei Pranayama durch die Phase des Luftanhaltens ein Innehalten erzeugt, das den Übenden zunehmend zu seiner Mitte finden
lässt.
Geistige Ebene
Bedenkt man, dass unser Leben vom ersten Augenblick an im Zeichen einer ununterbrochenen Bewegung, nämlich der Atmung, steht, eine Bewegung, die eng mit der Aktivität des Geistes zusammenhängt,
so kann man sich vielleicht vorstellen, wie sich ein regelmäßig geübtes Unterbrechen dieser Bewegung auf unser gesamtes Wesen auswirkt. Die Anzahl der im zentralen Nervensystem einlangenden
Nervenimpulse wird durch das Verlangsamen der Atmung und insbesondere während des Luftanhaltens stark reduziert. Dies bewirkt eine Beruhigung der gesamten geistigen Tätigkeit: Ausmaß und
Intensität der einander sonst jagenden Gedanken, Eindrücke und Gefühle werden allmählich reduziert und weichen einer zunehmenden inneren Ruhe und Ausgeglichenheit.
Auszug aus dem Buch "Yoga fürs Leben"
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