In einem der Grundlagentexte des Yoga, in Patanjalis Yogasutra, steht es geschrieben: „Yoga ist, wenn der Geist zur Ruhe kommt.“ Wenn man sich allerdings viele Kinderyogaeinheiten
ansieht/mitmacht oder auch anleitet, dann hat man oft nicht den Eindruck, daß hier die Essenz des Yoga vermittelt wird: „Yoga ist, wenn der Geist zur Ruhe kommt.“… also Stille, Innenschau,
Bewusstheit, meditatives Tun,…
Ganz im Gegenteil: Da ist es laut, manchmal sogar mit Musik, es wird gelaufen, gelacht, die Kinder führen die Yogapositionen gar nicht exakt aus, ein paar machen überhaupt nicht mit, alles wirkt
ein bißchen chaotisch… und nur dem geschulten Auge fallen die kurzen Stillephasen dazwischen und das dahinterliegende Konzept des Kinder-Yoga auf …
Auch viele Pädagoginnen und Eltern, die das erste Mal einer Kinderyogastunde beiwohnen, wundern sich, daß es im Kinder-Yoga so laut und so bewegt zugeht … sie hatten sich eher vorgestellt, daß
die Kinder in klassischen Yogapositionen verharren, dass es mucksmäuschenstill sei und die Kinder am Ende ein bißchen meditieren und nach einem abschließenden OM entspannt, ruhig und
konzentriert zurückkommen … also kurzum: durch Yoga „pflegeleichter“ geworden sind ;-)
So werden der Kinderyogalehrerin und dem Yoga oft, um es mit Patanjali zu sagen, „siddhis“, also „Zauberkräfte“ zugetraut … Diese sind jedoch weder wünschenswert noch realistisch -
wir wollen im Kinderyoga weder Symptome (die ja alle ihren Sinn und tieferen Grund haben) „wegmachen“, noch die Natur der Kinder „umpolen“.
Und die Natur der Kinder ist es, aktiv zu sein, sich zu bewegen, Grenzen auszuloten, neue Erfahrungen zu machen, zu lachen… Veranschaulicht mit dem Yin/Yang Symbol: Kinder haben viel Yang
(Dynamik, nach außen gerichtete Aktivität) und doch brauchen sie auch einen Punkt Yin (Stille, Entspannung, nach innen gerichtete Aktivität)… aber eben nur einen Punkt. Und dieses
Verhältnis bestimmt auch unsere Aktivitäten im Kinderyoga.
Wir könnten natürlich mit eingeforderter „Disziplin“ diese Natur unterdrücken, so daß „richtiges Yoga“ gemacht werden kann - so wie das auch in vielen anderen (Bildungs-) Bereichen gemacht wird
(und auch dort oft seine Berechtigung haben mag), im Kinderyoga wollen wir da jedoch einen bewussten Gegenpol setzen, einen Freiraum schaffen, in dem auch mal ein bißchen „Rebellion“ und „Chaos“
sein darf - alles ganz im tiefsten Sinn des Yoga, nämlich unsere wahre Natur zu finden.
Geheimnis Nr.1
Kinder wollen zuallererst spielen, und spielen ist etwas Dynamisches, Organisches, etwas, daß im Moment entsteht, etwas nur bedingt Konzeptuelles. Wir machen also nicht Yoga, wir spielen Yoga (bis zu einem gewissen Alter zumindest, dann wandelt sich der Zugang mehr zu einem „richtigen“ Yoga hin).
Geheimnis Nr.2
Kinder wollen unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit, kurzum unsere Energie, sie wollen gesehen, wahrgenommen werden. Wenn wir bereit sind, diese Energie zu geben, wenn wir uns auf den Fluß des Geschehens einlassen, unsere Idee, alles kontrollieren zu wollen, über Bord werfen, dann können wir in diesem Rahmen die Inhalte vermitteln, die uns am Herzen liegen: Körperlich und mental ins Gleichgewicht zu kommen und zu bleiben. Oder noch einfacher: Uns gut zu fühlen !
Das heißt jetzt nicht, dass wir völlig unvorbereitet mit Kindern Yoga machen. Das „Handwerkszeug“ ist natürlich wichtig und trägt zum Gelingen des Yoga-Übens mit Kindern bei. Zum „Handwerkszeug“:
Der Hatha-Yoga stellt uns hierfür eine große Palette an Übungen bereit. Seine drei großen Bereiche sind: Asana, Pranayama und Meditation.
Unsere Aufgabe, wenn wir mit Kindern Yoga üben wollen, ist, diese Techniken zu vereinfachen, herunterzutransformieren, altersgerecht zu interpretieren. Viele dieser Techniken sind in ihrer
kindgerechten Interpretation oft gar nicht als solche erkennbar. Wenn wir zum Beispiel Tierlaute nachahmen, dann ist das der Beginn von Pranayama,der Arbeit mit dem Atem, also zuerst einmal
Bewusstheit auf den Atem zu richten. Oder wenn wir zu einem Lied eine kleinen Bewegungsablauf üben, dann ist das der Beginn von asana, der Arbeit mit dem Körper mit dem Ziel, Bewusstheit in den
Körper zu bringen. Und wenn wir, nur für einen ausklingenden Klang der Klangschale, still sitzen, dann ist das der Beginn von Meditation. So wie ein Schulanfänger erst einmal im Zahlenraum 10
rechnen lernt und dann in 12 Jahren bei der Matura schwierigste Integral-Rechnungen löst …
Und der Kreis schließt sich dann, wenn wir in einer gelungenen Kinderyogastunde genau den von Patanjali beschriebenen Zustand erreichen, wenn ein Kind (und hoffentlich auch wir als Anleitende)
ganz in unserem Tun, im Spielen, im „Sein“ aufgehen, dann kommt der Geist zur Ruhe: Der Flow, Dharana, Satori stellt sich ein, ob laut oder leise ;-)
Danke fürs Teilen!