In einer Zeit, in der das wirtschaftliche Leben von Wettbewerb und Leistungsdruck geprägt ist, erscheinen die Weisheiten des Yoga mit unserem Verständnis von Erfolg und von einem erfolgreichen Unternehmertum nur schwer zu vereinbaren: Yoga erscheint wie der Gegenpol zu einem materialistischen, von Leistungsdruck beherrschten Wirtschaftsleben, das unser Denken und Handeln bestimmt und uns an die Antriebe unserer Natur – an unsere materiellen Bedürfnisse, Ängste und Wünsche – gebunden hält.
Das wirtschaftliche Leben ist mehr als andere Bereiche der menschlichen Gesellschaft von diesen Antrieben geprägt: Existenzsicherung, Wettbewerb und Rivalität sind entwicklungsgeschichtlich
sinnvolle und notwendige, aus Sicht des Yoga aber nur vorübergehende Erscheinungen einer Evolution, die uns zu einem höheren und bewussteren Menschsein führen wird. Diese Antriebe unserer noch
tierisch angelegten Natur sollen in den psychologischen Methoden des Yoga daher nicht unterdrückt oder verdrängt werden, sondern im Licht eines wachsenden Bewusstseins einer zunehmenden Kontrolle
des Geistes und einer kontinuierlichen inneren Wandlung unterzogen werden. Yoga bedeutet das Bewusstmachen, Kontrollieren - und letztlich das Überwinden aller instinkthaften, an die Natur des Ego
gebundenen Antriebe, die unser Denken, Wollen und Handeln - und damit die Beziehungen zu unseren Mitmenschen bestimmen - in höherem Ausmaß, als uns das zumeist bewusst ist.
Yoga kann als Methode einer fortschreitenden Höherentwicklung der menschlichen Natur verstanden werden, als Entwicklungsweg des Menschen zu einem freien und schöpferischen, von egoistischen
Zwängen befreiten Leben. Die psychologische Grundlage des Karma Yoga – jenem Yogaweg, der die Entwicklung und Vervollkommnung des menschlichen Wollens und Handelns in Aussicht nimmt - könnte als
Gefühl der Einheit mit einer tieferen Quelle beschrieben werden, die uns alle miteinander verbindet und uns in unseren täglichen Handlungen leitet. Liebe und Mitgefühl, eine gebende,
wohlwollende und unterstützende Grundhaltung allen Wesen gegenüber könnten äußerlich sichtbare Zeichen eines Karma Yogin in der äußeren Welt sein.
Der Karma Yoga lehrt, dass sich der wahre Wert unserer Handlungen nicht durch äußerliche Ergebnisse, sondern nur durch die innere Haltung bestimmen lässt. Eine kleine, unscheinbare Handlung, die
sich aus Liebe zur Menschheit oder zur göttlichen Schöpfung in ihrer Gesamtheit vollzieht, ist nach der Erfahrung des Karma Yoga von größerem Wert als alle selbstbezogenen Handlungen, mögen ihre
äußerlichen Ergebnisse noch so mächtig und beeindruckend sein.
Yoga bedeutet die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, um in einer tieferen Verbundenheit mit sich selbst und mit der Welt zu leben. Die Körper- und Atemübungen, die Reinigungs- und
Meditationstechniken des Yoga wirken methodisch auf die Strukturen des Nervensystems und unterstützen – durch regelmäßiges und dauerhaftes Üben - eine Umwandlung unserer von sinnlich-materiellen
Antrieben gebundenen Natur, die auch unseren denkenden Geist gebunden hält. Die großen Yogawege wollen dem Menschen ein höheres Denken und Fühlen, Wollen und Handeln eröffnen - einen Zustand
jenseits seiner natürlichen Begrenztheit, jenseits der triebhaften Strukturen des Egos, seiner Ängste und Abhängigkeiten, Eigeninteressen und Machtansprüche.
So kann Lebenserfolg im Verständnis des Karma Yoga nicht in einer selbstbezogenen Lebensweise erlangt werden. Eine solche Lebensweise macht den Menschen unzufrieden und seelisch leidend. Wahrer
Erfolg liegt in der Sichtweise des Yoga in einem kontinuierlichen Bewusstmachen unserer Natur, in einem fortschreitenden Entwickeln, Verfeinern, Umwandeln all jener triebhaften Impulse, die uns
an die mechanischen Handlungsmuster unserer Egonatur gebunden halten.
Das Geheimnis des Erfolges liegt nach den Erfahrungen des Karma Yoga nicht in äußerlichen Ergebnissen, sondern in inneren Veränderungen, in einer fortschreitenden und dauerhaften Veränderung
unserer inneren Haltung, die sich schließlich im äußeren Leben bemerkbar macht. Eine liebevolle und gebende innere Haltung führt mit der Zeit zu einer größeren inneren Zufriedenheit in allen
Bereichen des Lebens, zu einer wachsenden Schönheit, Freude und Harmonie aller äußeren Umstände.
In seiner Wirkung auf unser menschliches Verhalten bedeutet Karma Yoga die Überwindung von persönlichem und kollektivem Egoismus. Erfolg bedeutet in der Sichtweise des Karma Yoga, sein Wollen und
Handeln – jenseits der gewöhnlichen Motive unserer menschlichen Natur - nach den Entwicklungszielen einer tieferen Seele auszurichten, die alle Menschen in ihrem Innersten verbindet. Ein
Unternehmer mag an der materiellen Basis seines Lebens erfolgreich sein, dabei aber sein höheres „Dharma“, den Entwicklungsweg seiner Seele übergehen – einer Seele, die sich auf allen
Ebenen in einem freudvollen, authentischen, wahrhaftigen und mit anderen Menschen harmonisch verbundenen Leben auszudrücken sucht.
Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist ein Ausdruck ihres kollektiven Bewusstseins. In einer zu höherer Bewusstheit gereiften Menschheit werden die von unserer noch instinkthaften Natur bedingten Impulse wie Kampf und Rivalität ihren Einfluss auf das gesellschaftliche - und damit auch auf das wirtschaftliche - Zusammenleben verlieren. Die weniger bewussten und in ihren schöpferischen Möglichkeiten begrenzteren Antriebe werden in einem natürlichen Prozess der Evolution zunehmend all jenen - mit größeren und vielfältigeren Möglichkeiten ausgestatteten - Motivationen Platz machen, die dem Ideal eines höheren Menschentypus entsprechen.
Unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben wird diese Antriebe im Lauf der weiteren Entwicklung des menschlichen Bewusstseins ablegen, weil sich die Überlebensimpulse unserer Natur mit
wachsender Bewusstheit und Beherrschung des materiellen Lebens in höhere, schöpferisch motivierte Antriebe umwandeln werden. Wirtschaft wird eine dienende Funktion ausüben, die die materiellen
Grundlagen für eine sinnerfüllte, an höheren Vorstellungen ausgerichtete Gestaltung des menschlichen Lebens sicherstellt. Mit wachsender Bewusstheit und zunehmender Befriedung der
materiellen Bedürfnisse in unserer Gesellschaft werden schöpferische Impulse wie Freude und Begeisterung am Verwirklichen gemeinsamer Visionen unsere instinktiven Reflexe wie Existenzangst,
Leistungsdruck und wirtschaftliche Notwendigkeit ersetzen.
Ein auf Machtansprüchen und Einzelinteressen beruhender Wettbewerb von Unternehmen wird in einem gewandelten Zeitgeist seine Legitimation verlieren: ein Unternehmen, dessen Verständnis von
Erfolg an der Maximierung des eigenen Gewinns orientiert ist, wird in einem gewandelten Zeitgeist als ebenso wenig partnerschafts- und entwicklungsfähig gesehen werden, wie ein Mensch, der
nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Erfolgreiche Unternehmer werden ihren Erfolg am Dienst an ihrer Gesellschaft verstehen, sie werden in einem Bewusstsein der Verbundenheit denken und
handeln. Ihr vorrangiges Ziel wird eine ganzheitliche, nachhaltige und am bewussten Fortschritt ihrer Gesellschaft orientierte Unternehmensentwicklung sein.
Mit Blick auf die Führungsverantwortungen könnte erfolgreiches Unternehmertum in Zukunft darin bestehen, gesellschaftliche Bedürfnisse und Visionen in wirtschaftlichen Zielsetzungen zu
konkretisieren - sie in den Vorstellungen, in den Herzen und im Wollen der Menschen lebendig zu machen, um sie dann im gemeinsamen Schaffensprozess zu verwirklichen. Ein neuer Zeitgeist, der die
Erfolgsgeheimnisse der Zukunft in einem freudvollen, liebevoll und wertschätzend organisierten Miteinander sieht, scheint sich schon jetzt in vielen Bereichen unseres Wirtschaftslebens bemerkbar
zu machen. Wirtschaftliche Erfolgsmodelle werden nicht mehr nur am Gewinn des Unternehmens, sondern vermehrt am sozialen Wert und an der inneren Zufriedenheit der arbeitenden Menschen
gemessen. Auch bei der Auswahl des Arbeitsplatzes scheint sich eine Haltungsänderung in unserer Gesellschaft bemerkbar zu machen: so wird die Wertschätzung der eigenen Arbeit weniger vom
materiellen Verdienst, als vom inneren Wert, von ihrer gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit abhängig gemacht.
Die Auswirkungen eines auf der menschlichen Egonatur begründeten Wirtschaftslebens sind heute auf der ganzen Welt offenbar geworden. Gleichzeitig haben sich viele Wirtschaftstreibende einem
spirituellen Denken zu öffnen begonnen. Die Erkenntnisse des Yoga und anderer Weisheitslehren haben uns dabei geholfen, ein tieferes, auf innerer Verbundenheit begründetes Verständnis von
Wirtschaft zu entwickeln. Unter Begriffen wie „Social Business“ und „Impact Investment“ haben neue, auf gemeinschaftlichen, ökologischen und sozialen Fortschritt ausgerichtete Unternehmens- und
Investmentformen bereits Einzug in unser Wirtschaftsleben gehalten. Diese neuen und am gesellschaftlichen Wohlergehen ausgerichteten Unternehmen, deren Gewinne nicht an private Investoren
ausgeschüttet, sondern in ihre gemeinnützigen Zielsetzungen reinvestiert werden, könnten im Lauf der kommenden Jahre eine wachsende Wirtschaftskraft entfalten und mit ihren Gewinnen die Basis für
einen bewusster, gleichmäßiger und damit effektiver verteilten Wohlstand aller Menschen schaffen.
Diese neuen Formen könnten als Wegbereiter einer „Conscious Economy“ gesehen werden – als Vorboten eines neuen und ganzheitlichen Unternehmertums, das den Geist – das unser gesamtes Verständnis
von Wirtschaft - grundlegend verändern wird. Bewusst geführte Unternehmen werden sich zunehmend als dem Gemeinwohl dienende wirtschaftliche Kräfte verstehen, die der Umsetzung gesellschaftlicher
Visionen gewidmet sind. Wirtschaftlicher Erfolg wird in unserer gesellschaftlichen Zukunft keine isolierte und selbstbezogene, auf das materielle Wohl einzelner Menschen oder Menschengruppen
begrenzte Bedeutung mehr haben können – er wird sich in im Lauf unserer weiteren Entwicklung an gesellschaftlichen Visionen, am Wohlergehen des Ganzen, am bewussten Fortschritt der Gemeinschaft
bemessen.
Die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen der letzten Jahre könnten ein Hinweis auf einen Umwandlungsprozess des menschlichen Bewusstseins sein. Yoga kann als Entwicklungsweg auf allen Ebenen unseres Menschseins verstanden werden, der uns durch körperlich-energetische, geistige und psychologische Methoden die höheren Ebenen unseres Bewusstseins zu erschließen sucht. Die innere Entwicklung des Menschen wird im Yoga als Grundlage für die Veränderung der äußeren Welt verstanden.
Yoga ist dem materiellen Leben nicht entgegengesetzt - er zeigt uns Methoden, die uns die Kräfte und Wirkweisen des materiellen Lebens zu beherrschen lehren, damit wir durch sie die höheren Harmonien des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesellschaft errichten. Das wirtschaftliche Leben einer entwickelten Zivilisation wird kein vom Kampf nach materieller Bedürfnisbefriedigungen getriebener Mechanismus bleiben. Wirtschaft wird ein freudvoller und lebendiger, von den hohen Idealen und Visionen der Menschheit inspirierter Entwicklungsmotor sein, der den unendlichen Ideenreichtum und die Vielfalt des menschlichen Geistes zur Entfaltung, der die Liebe, Kraft und schöpferische Freude der Seele in der Fülle des materiellen Lebens zum Ausdruck bringen wird….
“Yoga muss der Welt enthüllt werden,
weil sie ohne ihn den nächsten Schritt in der Evolution nicht machen kann”
(Sri Aurobindo)
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